100.000 Rohingya sollen auf unsichere Insel umgesiedelt werden

  27 Oktober 2019    Gelesen: 738
100.000 Rohingya sollen auf unsichere Insel umgesiedelt werden

Die Insel Bhasan Char steht immer wieder zu großen Teilen unter Wasser. Nun will die Regierung von Bangladesch Rohingya-Flüchtlinge dorthin umsiedeln. Menschenrechtsgruppen sind alarmiert.

 

Vor 20 Jahren war hier noch nichts. Erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten setzte sich etwa 30 Kilometer vor der Küste von Bangladesch so viel Schlick ab, dass daraus Bhasan Char entstand: eine Insel, die in den vergangenen Jahren, zumeist in der Regenzeit zwischen Juni und September, immer wieder zu großen Teilen überschwemmt wurde. Aber nicht nur an Land ist es in der Region unsicher: Anwohner von Inseln in der Nähe erzählen, dass im umliegenden Gewässer Piraten nach Fischern Ausschau halten, die sie kidnappen können.

Genau dorthin will die Regierung von Bangladesch nun 100.000 Menschen umsiedeln.

Betroffen davon sind Rohingya, Angehörige einer muslimischen Minderheit, die wegen brutaler Übergriffe des Militärs aus ihrer Heimat Myanmar ins benachbarte Bangladesch geflohen sind. Seit 2017 kamen mehr als 700.000 Rohingya in die Camps nahe dem Fischerort Cox's Bazar, dort erstreckt sich inzwischen das größte Flüchtlingscamp der Welt. Mehr als eine Million Menschen leben in dem Lager namens Kutupalong. Die meisten von ihnen sind traumatisiert, es gibt Berichte über Erschießungen und Massenvergewaltigungen von Rohingya in Myanmar, bislang musste sich kein ranghoher Militär dafür verantworten.

Die Pläne, einen Teil der Geflüchteten aus den Camps auf die Insel Bhasan Char umzusiedeln, gibt es schon seit Beginn der Krise. Bangladesch ist übervölkert, das durchschnittliche Einkommen der Menschen in dem südostasiatischen Land ist sehr niedrig - die Aufnahme von Hunderttausenden Menschen war für die Regierung und die Hilfsorganisationen vor Ort ein Kraftakt.

Trotzdem war es ruhiger geworden um die Insel-Pläne, nachdem sich internationale Kritik geregt hatte. Vor allem die regelmäßigen Überschwemmungen sahen Menschenrechtsorganisationen und Experten als nicht zumutbar an. Doch offenbar wächst inzwischen in der bangladeschischen Gesellschaft die Ungeduld - die Regierung von Myanmar macht zwei Jahre nach Ausbruch der Krise noch keine Anstalten, die Rohingya unter annehmbaren Bedingungen zurück ins Land zu lassen. Aus einer temporären Aufnahme ist ein jahrelanges Engagement geworden.

Nun soll es schnell gehen: Schon in den kommenden Wochen wolle die Regierung die ersten Rohingya nach Bhasan Char bringen, kündigte Mahbub Alam Talukder, Chef der Hilfs- und Rückführungskommission in Cox's Bazar, an. Die Umsiedlung solle in mehreren Etappen erfolgen. Es seien bereits Listen angefertigt worden mit den Namen derer, die von den Camps in Kutupalong in die Häuser auf Bhasan Char umziehen wollen. 7000 Geflüchtete hätten sich freiwillig bereit erklärt - obwohl viele Rohingya fürchten, dass sie dort im Falle einer Naturkatastrophe von jeder Hilfe abgeschnitten sind.

"Wir wollen nicht nach Bhasan Char gehen, wir haben von den Überschwemmungen gehört, und dann können Menschen sterben. Unsere Kinder werden ertrinken - für die ist es nur eine neue Falle, durch die sie ihr Leben verlieren können", sagte die Camp-Bewohnerin Hamida Khatum der "Deutschen Welle". Nach Ansicht der bangladeschischen Behörden sind die Hilfsorganisationen vor Ort schuld an der Sorge der Rohingya vor der Insel-Übersiedlung. Diese hätten die Bedingungen dort dramatisiert.

Niemand werde gezwungen, heißt es seitens der Regierung, der Umzug sei freiwillig. Vor wenigen Monaten klang das noch anders: Außenminister Abdul Momen sagte im August im Interview mit der "Deutschen Welle": "Notfalls zwingen wir sie. Wir haben nicht genug Platz hier."

Vorkehrungen gegen die Fluten wurden immerhin schon getroffen: Eine chinesische Firma hat einen Damm errichtet, zudem gibt es Bunker, in denen sich die Anwohner vor möglichen Zyklonen in Schutz bringen könnten. Die Marine beziffert die Kosten der Baumaßnahmen auf etwa 248 Millionen Euro. Satellitenbilder zeigen Betonhäuser mit roten Dächern. Davon soll es 1440 geben, in jedem davon Platz für 16 Menschen, heißt es. In Kutupalong leben die Menschen oft nur unter Plastikplanen, feste Häuser sind in den Camps nicht erlaubt.

Die Hilfsorganisationen vor Ort sind dennoch skeptisch. "Wir hatten noch keinen Zugang zu der Insel, wir kennen die genauen Umstände also nicht. Das macht uns Sorgen", sagt Saad Hammadi von Amnesty International. "Wir hoffen, dass die Regierung ihre Zusagen einhält, etwa dass es Fähren geben wird, mit denen die Anwohner regelmäßig auf das Festland kommen, wenn sie wollen. Das müssten wir aber mit eigenen Augen sehen."

Ein wichtiger Punkt sei außerdem, ob es dort Bildungseinrichtungen für die Rohingya geben werde. Gebe es keine Schulen oder ähnliche Einrichtungen für die jungen Rohingya, liefen diese Gefahr, zu einer "verlorenen Generation" heranzuwachsen, sagt Hammadi. Viele der Geflüchteten seien traumatisiert und hätten in ihrer Heimat und auf der Flucht extreme Gewalt erlebt: "Die Regierung in Dhaka sollte den Prozess der Umsiedlung nicht überstürzen."

Auch Human Rights Watch appelliert an die Regierung: "Die traumatisierten Menschen auf Bhasan Char abzuladen, wo sie erneut tödlicher Bedrohung ausgesetzt sind, ist keine Lösung", heißt es in einer Stellungnahme. Die Regierung solle von den Plänen Abstand nehmen, bis unabhängige Experten bescheinigen könnten, dass die Insel bewohnbar sei. Zudem solle die Regierung zusichern, dass sich die Rohingya frei bewegen und die Insel jederzeit wieder verlassen dürften.

Die Vereinten Nationen sind nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende 2018 um eine umfassende Evaluierung der Insel bemüht und stehen dazu im Austausch mit der Regierung in Dhaka. Die Behörden hätten eine Bewertungsmission der Uno jedoch bisher nicht genehmigt.

Quelle : spiegel.de


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